Die Fallstudie – Ein Konflikt entsteht
In einer großen Pflegeeinrichtung spricht Teamleiterin Christina ihren Mitarbeiter Ruedi darauf an, dass er regelmäßig zu spät kommt. Ruedi reagiert verärgert und akzeptiert Christina‘s Vorgehensweise nicht. Dabei wurde Christina genau für solche Aufgaben eingestellt, als Teil einer Organisationsstrategie, die stärker auf Verhalten und Feedback abzielt. Die Personalabteilung wird eingeschaltet und empfiehlt die Hinzuziehung eines Mediators.
In meiner Tätigkeit als Interim-Manager und Berater begegne ich dieser Praxis häufig: Konflikthafte Arbeitsbeziehungen in öffentlichen Organisationen, die durch Mediatoren „gelöst“ werden sollen. Doch ist dies wirklich sinnvoll?
Vorteile der Mediation
Mediation befindet sich stark im Aufwind – zu Recht, denn sie bietet viele Vorteile gegenüber einer juristischen Austragung von Konflikten. Mediation ist informeller, lösungsorientierter, reduziert Stress und Spannung und führt schneller zu Ergebnissen. Parteien sparen Zeit und Geld, und am Ende herrscht Erleichterung.
Ist Harmonie wirklich immer das Ziel?
Das Ansprechen von Fehlverhalten durch Führungskräfte gehört zu ihrer Rolle, unabhängig davon, wie modern und coaching-orientiert Führung verstanden wird. Solche Gespräche sind nicht immer angenehm, doch solange sie respektvoll und klar geführt werden, erfüllen sie ihre Funktion.
Ordnung statt Hierarchie
Da der Begriff Hierarchie heutzutage ein empfindliches Thema ist betrachtet wird, ziehe ich lieber einen Begriff aus der systemischen Betrachtung heran: Ordnung. Jedes System besitzt eine Ordnung von Prinzipien, Funktionen und Beiträgen der Beteiligten. Das Ansprechen ist eine Funktion dieser Ordnung und dient somit dem gesamten System. Doch genau das sehen viele Personalabteilungen nicht so. Bereits der Ärger eines Mitarbeiters genügt oft, um von einem „Konflikt“ zu sprechen. Ein Mediator klingt in diesem Zusammenhang natürlich äußerst vernünftig.
Mediator als Allheilmittel?
Die Mediationsbranche präsentiert sich zudem gern als Allheilmittel: „Arbeitskonflikte entstehen oft durch Missverständnisse, die zu einer angespannten Arbeitsbeziehung führen und daher idealerweise durch Mediation gelöst werden können“ sagt eien Homepage eines mediators
Spannungen als Chance?
Doch was ist eigentlich falsch an angespannten Arbeitsbeziehungen? Warum versuchen wir sie sofort zu glätten? Können Spannungen nicht auch produktiv wirken? Sollte bei Missverständnissen nicht eher ein Kommunikationstraining erfolgen, sodass Beteiligte ihr Problem selbst lösen?
Auswirkungen auf die bestehende Ordnung
Kommt ein Mediator hinzu, verändert sich unweigerlich die bestehende Ordnung. Die Personalabteilung unterstützt faktisch Ruedis Weigerung, die Ordnung anzuerkennen. Was oberflächlich wie ein inhaltlicher Konflikt erscheint, etwa über Arbeitszeitregelungen, ist oft ein grundlegendes Problem der Akzeptanz bestehender Ordnungen. Christinas Autorität wird indirekt in Frage gestellt und geschwächt, statt ihr innerhalb der Organisation Unterstützung zu bieten.
Vermittlung oder Vertuschung?
Der Mediator behandelt Christina und Ruedi als Gleichgestellte, zwischen denen vermittelt werden muss. Jeder soll ein wenig nachgeben, dann geht es vermeintlich weiter – bis zur nächsten „Misskommunikation“.
Ideal wäre, wenn Christina und Ruedi – möglicherweise unterstützt durch die Personalabteilung – gemeinsam innerhalb ihres Systems eine Lösung erarbeiten. Scheitert das, müsste der Fall an Jane, Christinas Vorgesetzte, eskaliert werden.
Organisationsproblem statt Führungsproblem?
Wenn Führungskräfte oder die Personalabteilung selbst ihrer Führungs- oder Beratungsrolle nicht gerecht werden, liegt ein gänzlich anderes, ein organisatorisches Problem vor, das ein Mediator nicht lösen kann. Solche systemischen Herausforderungen bedürfen einer entsprechenden Betrachtung und Bearbeitung.
Wann Mediation sinnvoll ist
Bei echten juristischen Konflikten, bei denen alle Beteiligten an Grenzen stoßen, kann Mediation hervorragend helfen. Doch derzeit beobachte ich, dass viele organisationsinterne Führungsprobleme von externen Mediatoren bearbeitet werden.
Nachhaltigkeit durch Führungskultur
Nachhaltiger wäre es, an unserer Führungskultur zu arbeiten. Eine reife Führungskultur zeichnet sich durch Kompetenz im Ansprechen und angesprochen werden aus. Wo die Ordnung erodiert, politisieren sich die Verhältnisse. Die Problemlösung wird an Mediatoren ausgelagert – eine kurzfristige politische Lösung, die langfristig unsere Fähigkeit zur eigenständigen Bewältigung alltäglicher Managementaufgaben schwächt.
Führungsangst und Konfliktscheu
Die zunehmende Präsenz von Mediatoren in Arbeitsbeziehungen mag sympathisch erscheinen, deutet jedoch oft auf ein tiefer liegendes Problem hin: Führungsangst und Konfliktscheu.
Christina jedenfalls wird es sich künftig zweimal überlegen, Mitarbeiter auf deren Verhalten anzusprechen. Wir wollen die Verhältnisse schließlich lieber harmonisch halten.